Mitten im Chirurgie-Tertial auf Bali. Momentan in der Orthopädie.
Mittwoch. Visite um sieben Uhr. Da es morgens eigentlich erst um 7.30h losgeht mit der Morgenbesprechung, habe ich extra noch einmal nachgefragt: aber nein, wir treffen uns direkt auf der Station.
Mit guter deutscher Pünktlichkeit bin ich da. Mit mir knapp dreißig Residents (Assistenzärzte). Einige schauen noch mal in die Patientenakten, tragen Informationen über ihre PatientInnen in eine PowerPoint ein. Andere haben sich Stühle zusammengeschoben, unterhalten sich, lachen. Warten. Klimatisiert ist die Station nicht und obwohl der Tag gerade erst begonnen hat, ist es schon sehr heiß. Obwohl es nachts nicht so heiß war wie sonst manchmal und ich gut geschlafen habe, kämpfe mit meinem Kreislauf.
Um zehn vor acht rauscht der Professor heran, allgemeine Heltik und Gewusel, höflich wird der Oberkörper leicht nach vorne geneigt, wenn man an Professor S. herantritt oder an ihm vorbeigeht, um sich selbst ein bisschen kleiner zu machen.
Ein Patient nach dem anderen wird vorgestellt und gesehen. Es fühlt sich absurd an, mit einem solch großen Team in die großzügigen geschnittenen aber im Nu proppenvollen Sechserzimmer einzuschneien und die Ohren zu spitzen. Fünf Residents bilden jeweils eine Gruppe und stellen einen Patienten vor, die anderen stehen hinter Professor S. und bekommen mehr oder minder mit, was dieser an der Betreuung des Patienten durch seine zahlreichen Schützlinge gutzuheißen, vorzuschreiben oder zu kritisieren hat. Ich tue mein bestes, um zu folgen, aber Sprachbarriere, Geflüster, die laute Musik aus den schlechten Lautsprechern eines anderen Patienten sorgen dafür, dass ich kaum etwas verstehe.
Stattdessen schaue ich mich um. Obwohl viele der anderen Residents ebenfalls nicht folgen können (oder wollen oder beides), machen alle brav mit bei dieser Veranstaltung.
Wenn ich mir in Deutschland manchmal einen kleinen Aufstand wünschen würde angesichts komischer Abläufe, die außer durch Tradition (weil schon immer so gemacht) nicht rational zu begründen sind – dann bräuchte es in Indonesien eine große Revolution.
Nach knapp zwei Stunden bin ich froh, nicht zusammengeklappt zu sein und wir ziehen um in den großen Besprechungssaal für den Morning Report. Es werden nur zwei Aufnahmen aus der vergangenen Nacht vorgestellt. Und das hat einen guten Grund: Die allgemeine Gesundheitsversicherung schreibt ein Stufensystem vor. Patienten müssen erst zu einem kleinen Krankenhaus, nur von dort können sie bei Bedarf weiter an die große Uniklinik verwiesen werden. Ein eigentlich logisches System: Die Grundversorgung erfolgt in peripheren Häusern, an die Uni zu den Spezialisten werden nur die schwierigen Fälle geschickt. Eingependelt hat es sich noch nicht: während früher nachts die Notaufnahme überlastet war, ist sie nun viel zu leer und die zehn orthopädischen Chirurgen (zum Großteil noch in der Facharztausbildung), die letzte Nacht Dienst hatten, hatten kaum etwas zu tun.
Professor S. nutzt die Zeit und die Patientenfälle, um den Assistenten etwas beizubringen. Einerseits gut, andererseits verstehe ich den Sinn dahinter, die gleiche Frage, die offensichtlich nicht so leicht beantwortet werden kann, mehreren Leuten hintereinander zu stellen, nur bedingt. (Diese schauen dann beschämt nach unten und murmeln leise und zögerlich falsche Antworten oder zum Teil auch nur nicht genau die Antwort, die Professor S. hören wollte.)
Ein Lehrstil nach der alten Schule, so scheint es.
Um halb elf geht es dann endlich an die unmittelbare klinische Arbeit: Ich gehe heute mit in die Polyklinik. Ich erwarte – genau wie in der Onkologie – Gewusel und zahlreiche Patienten. Aber Fehlanzeige: es besteht das gleiche Problem, wie schon in der Nachtschicht – über zehn wartende Ärzte und kaum Patienten. Gleich drei Ärzte befragen gemeinsam eine junge Frau mit unbehandelter Skoliose (unphysiologischer seitlicher Krümmung der Wirbelsäule), die nun operiert werden soll.
Und langweilen sich dann wieder. Arbeiten an einer Patientenvorstellung in PowerPoint (dazu vielleicht ein anderes mal mehr). Schreiben Freunden bei WhatsApp. Scrollen sich durch Instagram.
Hier herrscht offensichtlich ein Ungleichgewicht. Quasi genau anders herum als hier in Deutschland. Während hier Chirurgen nicht mehr hinterherkommen, bremst das System auf Bali alles aus. Jeder der Kopfschmerzen hat, kann sich in Deutschland in ein Auto setzen und zur Notaufnahme fahren. Finde ich ehrlich gesagt gut so. Wie ist das auf Bali? Sitzen dort trotzdem Fachkräfte die zu entscheiden haben ob es nun „ernst“ ist oder nicht?
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Du scheinst ja schon einige Scheuklappen verpasst gekriegt zu haben, wenn Du das als einiziges Problem in diesem kranken System siehst … 😉
Liebe Grüße und
paradise your life! 😉
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