Corona-Dienst

Stille auf den Fluren. Relative, wohlgemerkt. Die seltsame Ruhe, die sich über das Land gelegt hat, wirkt auch hier. Pfleger und Schwestern laufen mit Atemmasken über die Flure, Eltern und Kinder bleiben mehr als sonst auf ihren Zimmern. Pro Tag gibt es momentan übrigens pro Mitarbeiter eine Maske – auf den Stationen, auf denen Corona-Verdachtsfälle vorliegen bzw. Kinder Fieber und Husten haben. Bizarrerweise setze ich also auf der einen Station meine Maske auf, auf der anderen verstecke ich sie, damit kein Unmut unter meinen Kollegen aufkommt, die dort keine bekommen haben. Und sowieso komme ich heute meinen Kollegen und Patienten so nah wie seit Tagen nur meiner Familie. Seltsam ist das – aber obwohl ich mir Mühe gebe, lässt es sich gar nicht vermeiden. HomeOffice und Sprechstunde auf Entfernung – das mag in einigen Bereichen der Medizin zukünftig denkbar sein, beim Einschätzen von kranken Kindern kann ich es mir bisher kaum vorstellen.

Am Wochenende sind meine Kollegin und ich zu zweit im Haus, teilen uns die Patienten auf, visitieren alle, werden zwischendurch in die Notaufnahme gerufen und sehen uns Kinder an, die niedergelassene Kollegen, die am Wochenende dort eine Sprechstunde anbieten, eingewiesen haben. Normalerweise eine Mammutaufgabe, kürzlich fand ein Gespräch statt, ob wir nicht besser zu dritt sein sollten für all diese Aufgaben, die mich bisher fast immer 13 Stunden am Stück auf den Beinen gehalten haben – von einer späten nachmittägliche Mittagspause von maximal 20 Minuten mal abgesehen. Bisher war das sehr schwierig – denn acht mal pro Monat für je vier Stunden ein Arzt extra, was das kostet!

Doch Corona hat alles verändert.

Heute ist es anders. Es erscheinen viel weniger Eltern mit ihren Kindern in der Notaufnahme. Ich kann nur mutmaßen, dass die Hürde zum Arztbesuch aus Angst vor Ansteckung gerade auf ein adäquates Maß gestiegen ist. (Wobei adäquat eine Wertung ist – hoffentlich bleiben nicht auch Eltern unserer Klinik fern, deren Kinder von einem Arzt gesehen werden müssten.) Auf jeden Fall ist es beachtlich leer. Auch die Stationen sind überschaubar belegt. OPs wurden abgesagt, geplante Untersuchungen ebenfalls – allein daher sind viele Betten leer. Wer meint, dass Krankenhäuser in der Corona-Krise wirtschaftlich keinen Schaden davontragen werden, irrt – die gegenwärtigen Vorbereitungen führen vielerorts dazu, dass gerade die wirtschaftlich lukrativen Eingriffe weniger oder gar nicht durchgeführt werden. (Unsere armen Chirurgen sind aktuell nur für Notfall-OPs gefragt. Die Anästhesisten haben entsprechend aktuell auch kaum zu tun, aber bereiten sich darauf vor, demnächst vermehrt zu beatmen…)

Nur Frühgeborene gibt es genau so viele wie sonst. Babys kommen dann zur Welt, wenn sie müssen, Ausgangssperre hin oder her. Ihre Eltern haben besonders viel auf einmal zu verarbeiten: Freude, Sorge, dazu die strengen Besucherregelungen – nur ein Elternteil. In den meisten Fällen ist es der Vater, der fernbleiben und mit seinen Gefühlen allein klar kommen muss.

Wie lange werden die strengen Regeln gelten? Riskieren wir nicht auch, dass Menschen isoliert zu Hause auf Dauer einsam und depressiv werden? Sich in ihrer Angst und Sorge verrennen?

Am Ende des Tages, wieder mal nach 13 Stunden, fühle ich mich anders als an meinen bisherigen Wochenend-Diensten. Da war ich erschöpft, ausgelaugt, müde. Diesmal bin ich glücklich und müde. Aktiv war ich auch heute durchgehend, aber in einem anderen Tempo und nie mit dem Gefühl, die Aufgaben nicht bewältigen zu können. Zeit war da für etwas ausführlichere Elterngespräche und einen kleinen Plausch mit den Schwestern. Beides sehr wichtig, sowohl für die Patientencompliance (so nennen wir es, wenn Patienten brav unseren Rat befolgen) als auch für die Zusammenarbeit, die besser funktioniert, wenn nicht nur abgeackert wird, sondern ein vertrauensvolles Verhältnis besteht.

Wenn ich mir eins wünsche, für die Zeit nach dieser Krise, dann sind es mehr Tage wie diese im Krankenhaus. Mit etwas weniger Zeitdruck und mehr verständnisvollen Worten. Als ich zu Hause ankomme, ist es 21.00h, ich lüfte. Und plötzlich erklingt Gejohle und Applaus. Von der Aktion (zum Dank an alle, die momentan gesellschaftliche Aufgaben in der Versorgung der Gesellschaft mit lebenswichtigen Gütern übernehmen) hatte ich gehört und obwohl ich heute kein Kind versorgt habe, dass an Corona erkrankt war, fühle ich mich angesprochen und nehme ich das Lob grinsend an. Ja, wir setzen uns alle ein in der Medizin. Vergesst ihr nur nicht, dass es mit einmal Klatschen nicht vorbei ist – dass ihr uns Ärztinnen und Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger und letztendlich Patientinnen und Patienten auch in ein paar Monaten noch unterstützt für humane Bedingungen in der medizinischen Versorgung.

Denn gerade jetzt sollte klar sein: Es ist nirgends und nie nur das Geld, das zählt.

2 Gedanken zu „Corona-Dienst

  1. Ich habe auch das Gefühl, dass die Leute sich weniger wenigen unnötigen Wehwechen auf den Weg ins Krankenhaus machen. Die, die kommen, haben Grund dazu. Und das sind nicht weniger, als die, die auch bisher zu Recht ins Krankenhaus gekommen und den Notdienst in Anspruch genommen haben. Deswegen glaube ich ehrlicherweise nicht, dass die Menschen trotz behandlungspflichtiger Zustände nicht kommen.

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