Rassismus im Krankenhaus?

Naja, und die sehen ja nicht gerade danach aus, als hätten sie 2.000 Euro in der Tasche und könnten das selbst zahlen.

Ich bin geschafft. Die Woche war anstrengend. Es sind gar nicht so viele Patienten eigentlich, aber so einige haben es in sich. Da ist die Mutter, die kaum Deutsch spricht, und mit der ich mich mit Händen und Füßen und dem bisschen Spanisch, was übrig geblieben ist aus Erstsemestertagen, verständige. Und da ist die Patientin mit der Colitis ulzerosa, die die Aufklärung und Erklärungen zu ihrer Krankheit der Gastro-Oberärztin so gut sie konnte für ihre Großmutter übersetzt hat, weil die nur Türkisch redet. Zu der ich später noch mal gegangen bin, mit Übersetzer am Telefon… Da ist das Labor, dem ich hinterhertelefoniere, weil ein Vater, dessen Sohn letzte Woche mit peripherer Fazialisparese (einseitiger Gesichtslähmung) hier war, wie verabredet jeden Nachmittag anruft: Weil wir ihm aufgetragen haben, sich nach den Borrelien-Befunden zu erkunden. Heute meldete er sich mit den Worten ‚und täglich grüßt das Murmeltier, Frau Doktor, hier ist xxx, der Vater von yyy!‘ Das Labor, das mir gerade eröffnet hat, dass nicht genug Material da war und ich deshalb noch lange auf die Befunde seines Sohnes warten kann – eine Info, die bereits seit längerem vorlag, aber nicht an mich weitergeleitet wurde… Der Vater meines Patienten ist mittlerweile fast schon belustigt, dass wir uns täglich am Telefon sprechen – seinem Sohn geht es glücklicherweise schon wieder deutlich besser, so dass er genau wie ich nicht mehr an eine bakterielle Genese des Geschehens glaubt.

Mein Kopf ist also voll, fühlt sich überladen an. Weil ich ständig dabei unterbrochen werde, was ich gerade mache, habe ich mittlerweile das Gefühl, kaum mehr gerade denken zu können. Fühlt sich so Überforderung an? Auf jeden Fall fühle ich mich stark gefordert und sehne mich nach einem Umfeld, in dem nicht 90% meiner KollegInnen gestresst durch die Gegend hetzen… aber darauf kann ich auf dieser Station wohl noch lange warten. In der Pflege scheint sich die Leitung mittlerweile damit abgefunden zu haben, dass die Fluktuation groß ist. Bei uns ÄrztInnen wird rotiert, so dass keiner von uns über Jahre auf dieser Station bleiben wird. Und es stimmt wohl – wäre ich durchgängig hier eingeteilt, würde auch ich hier nicht alt werden wollen. So traurig es auch ist, nette Pfleger und Schwestern ziehen zu sehen – ich kann sie gut verstehen.

In dieser Stimmung bin ich also, als mir mein Oberarzt die Ernährungstherapie bei Morbus Crohn erklärt und auf die hohen Kosten der Ernährungstherapie hinweist. Ich bin zu erschöpft, um bei seinem bissigen Kommentar aufzuhorchen, mache mir Notizen, damit mir die Infos, die ich brauche, um das Prozedere zu organisieren, nicht untergehen. Es ist also wichtig, rechtzeitig daran zu denken, das Rezept auszustellen.

Und doch bleiben seine Worte irgendwie hängen. Was meint er eigentlich?

Mein Oberarzt hat vorhin schon angedeutet, dass er unzufrieden ist mit der Patientin I. bzw. ihren Eltern. Vor zwei Jahren wurde die chronisch-entzündliche Darmerkrankung bei ihr diagnostiziert, durch die von ihm eingeleitete Therapie (eine Art ‚Astronautennahrung‘ für zwei Monate, anschließend Tabletten als Dauertherapie) hatte sehr gute Ergebnisse erzielt, wurde von der Patientin aber vor einem knappen Jahr ohne Rücksprache mit ihm abgesetzt. Darüber hat er die Nase gerümpft. Patienten, die einfach das machen, was ihnen gefällt, mit denen hat er nich mehr so viel Geduld.

Aber der Kommentar? Wie sehen denn Leute aus, die ohne weiteres 2000€ auf den Tisch legen können? Wie viele gibt es überhaupt in Deutschland, die das aus dem Stand könnten?

Es schmerzt, aber innerlich befürchte ich, dass ich weiß, wie man schon mal nicht aussieht, wenn man Geld hat in der Vorstellung meines Oberarztes: man hat keinen Migrationshintergrund, womöglich schon gar keine schwarze Hautfarbe.

Am nächsten Tag habe ich zum Glück nur eine neue Patientin, habe also Zeit, die Visite gründlich zu machen. Frage genau nach, warum I. die Medikation abgesetzt hat. Erfahre, dass sie im Auslandsjahr in den USA war und ihr die Tabletten ausgegangen sind; dass sie nicht wusste, wie sie neue bekommen könnte; dass sie dann dachte, es würde schon gehen, so gut wie es ihr ging. Jetzt verstehe ich, warum I.s Mutter gestern nicht genau wusste, wann ihre Tochter die Tabletten abgesetzt hat – die war gerade in Texas, mitten im amerikanischen HighSchool-Alltag. Ich spreche mit I. und ihrem Vater, der sein HomeOffice heute ins Krankenhaus verlegt hat, um seiner Tochter Gesellschaft zu leisten, und mit Laptop im Patientenzimmer sitzt. I. ist einverstanden, die Ernährungstherapie noch einmal durchzuführen; hat bitter am eigenen Leib gemerkt, dass die Tabletten wichtig sind, um den guten Erfolg zu halten. Im Gehen fragt ihr Vater mich, wo meine Eltern herkommen. Es stellt sich heraus, dass er gute Erinnerungen an einen Landsmann meines Vaters hat, mit dem er gemeinsam an der TU studiert hat. Also bin ich hier geboren? Ja genau. Ich bin sozusagen aus der Generation seiner Tochter, halb zumindest, denn meine Mutter ist aus Deutschland.

Ich ärgere mich über meinen Oberarzt und frage mich zugleich, welche Schablonen ich in mir trage, die mich Patienten und ihre Eltern schnell nur eindimensional wahrnehmen lassen. Und hoffe nur, dass er vielleicht einen anderen Grund hatte für seinen unangebrachten, vermutlich auch sehr unüberlegten, flapsig dahingeworfenen Kommentar. Mir fällt aber ehrlich keiner ein.

Und jetzt? Erstmal durchatmen. Und das nächste mal hoffentlich genug Energie haben, um derartige Worte direkt zu challengen und nicht im Raum stehen zu lassen.

Ein Gedanke zu „Rassismus im Krankenhaus?

  1. Ein wichtiger Beitrag! Und in meiner Erfahrung ist Alltagsrassismus im Krankenhaus allgegenwärtig. Sind es die Menschen aus südöstlichen Ländern, die angeblich „sich immer so anstellen und übertrieben leiden“ oder der ruppigere Umgang mit jenen, die die Sprache nicht verstehen, die Aufklärungen die nicht voll verstanden werden und es keine Dolmetscher gibt und das vom Krankenhaus trotz eindeutigem(!!) Bedarf auch nicht eingesetzt werden,.. es geht immer so weiter. Ich bin davon überzeugt, dass das ? In deiner Überschrift ein ! Sein kann. Und wir müssen unbedingt alle lernen, gegen Alltagsrassismus aufzustehen. Das ist nämlich gar nicht so einfach, das weiß ich auch aus Erfahrung… 🙂

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