Am Strand
Um der Techno-Musik, die auch nachmittags schon aus dem Touri-Ressort weht, zu entgehen, laufen wir strandaufwärts. Zielgruppe des Etablissements, für das bis an den Strand ein riesiger Pool gebaut wurde: junge, partyaffine Internationals. Wir zählen uns nicht zu dieser Gruppe und wollen daher sehen, ob es in Canggu noch Abschnitte gibt, in denen wir einfach nur das Meer und den Strand auf uns wirken lassen können. Vielleicht gibt es sogar noch ein paar Schatten spendende Bäume, unter denen wir es uns bequem machen könnten um den Surfern zuzusehen und später den Sonnenuntergang zu genießen.
Ein paar hundert Meter weiter werden wir einigermaßen fündig: einsam ist es hier zwar auch nicht, aber immerhin gibt es ein paar Bäume und nur ein paar kleine Kiosks, keinen ganzen Hotelkomplex. Und vor allem: keine konstante Beschallung mit Party-Mucke. Mit einem großen ‚Nachteil‘: Der Strand wird nicht von Personal gesäubert. Und vor uns breitet sich gewissermaßen ungefiltert ein großes Problem des tropischen Urlaubsparadieses Bali aus, und das besonders jetzt, zur Regenzeit, zu Tage tritt: Plastik.
Wenn ich es mir recht überlege: ein Problem, das nicht nur Bali, sondern unseren ganzen Planeten zu ersticken droht, um es dramatisch auszudrücken. Nur sind wir in Deutschland besser darin, es zu verwalten, so dass es uns nicht beim ersten Anblick schöner Natur direkt unter die Nase gerieben wird.
Unser Lebensstil, ein Privileg. Und nicht nachhaltig.
Neu ist mir das nicht. Aber es gibt Momente, da sind derlei Gedanken über Lebensstil und Nachhaltigkeit bewusster und präsenter als in anderen. Im deutschen Alltag stoße ich mich nicht so häufig daran, dass wir viel zu viel unserer begrenzten Ressourcen verbrauchen. Auf Bali kann ich beobachten, wie viel sich in den letzten zwanzig Jahren verändert hat – und zumindest was die Umweltverschmutzung betrifft, nicht zum Besseren.
Zu Hause fahre ich viel Rad, habe kein Auto, esse selten Fleisch. Bin in den vergangenen Jahren aber viel und weit gereist und Avocados mag ich nach wie vor auch gern. Nicht so einfach ist das mit der Konsequenz, denn manchmal alle guten Vorsätze vergessen und ‚einfach so‘, gedankenlos, etwas zu tun, verleiht auch Freiheit – und macht Spaß. Oder ist das einfach nur eine schlechte Entschuldigung?
Auf Bali und gerade in Canggu gibt es viele Cafés und Restaurants, die mit Bio-Zutaten werben, Chia-Bowls in halben Kokosnüssen servieren und statt Plastik-Strohhalmen Bambus-Halme verwenden. Schön und gut. Aber ist es nicht irgendwie trotzdem ziemlich viel Selbstbetrug, erst um die halbe Welt zu jetten und sich dann in eines dieser Cafés sitzend ein gutes Gewissen zu erschlürfen?
Ich muss mir an den eigenen Kragen fassen, ein bisschen unangenehm ist das. Und was mache ich draus?
Bei sich selbst anfangen, damit ist man immer gut beraten. Und dann schauen, inwiefern Energie und Möglichkeiten da sind, nach außen zu wirken? Vielleicht der nächste Schritt.
Für mich betrachtet wird mir gerade sehr klar: mein eigenes Fernweh wird zunehmend weniger. Und der Wunsch, eine Beschäftigung zu beginnen, mit der ich gesellschaftlich sinnvolle Arbeit leiste, zunehmend größer. Dass der Arztberuf mir das bietet und ich drauf und dran bin, ihn zu ergreifen, empfinde ich wiederum als glückliches Privileg.
Was bleibt: vielleicht auch sonst mehr Entscheidungen treffen, die ich mit meinem Gewissen – auch in Momenten des Bewusstwerdens – vereinbaren kann. Hohe Ansprüche haben, ohne dass ich es zulasse, dass sie mich unglücklich machen, wenn ich sie nicht erfüllen kann.
Wäre das nicht ein guter (verspäteter) Neujahrsvorsatz?