Sommerdienste

Samstag Abend, Spätdienst in der Notaufnahme. Heute war ein heißer Sommertag, noch sind Sommerferien. Vermutlich werden meine chirurgischen Kollegen heute mehr zu tun haben als wir: In der Kinderheilkunde ist im Winter Hochsaison, zu Zeiten von Husten, Schnupfen, Infekten. In der Kinderchirurgie ist es umgekehrt: Jetzt, wo Kinder draußen sind, toben, auf Klettergerüste und Bäume klettern, Fahrrad und Laufrad lernen und vor allem Trampolin springen, ist es abends voll: Kinder werden vorstellig mit Kopfplatzwunden, Brüche, Beulen, umgeknickte Knöchel.

Erwartungsgemäß ist es bei uns überschaubar. Ich habe zwar durchgehend zu tun, weil immer wieder Patienten eintrudeln, die Wartezeiten sind jedoch nicht lang, ich kann die Kinder gut ‚abarbeiten‘. Manchmal fühlt sich ein Krankenhaus an wie eine Produktionsstätte. Input: Kranke Kinder. Output: Genesene Kinder oder zumindest Kinder mit einem genauen Plan, um wieder gesund zu werden. Der Prozess dazwischen jedoch voller ‚Störvariablen‘. Schreiende Kinder, besorgte Eltern, sehr viel Kommunikation und ’social skills‘ sind erforderlich, damit möglichst wenig Reibung entsteht und ‚der Betrieb läuft‘. Die Schwestern sortieren eintrudelnde Kinder nach Dringlichkeit; wer am kränksten ist, wird zuerst von uns gesehen.

M. ist neun Jahre alt und kommt um 22.00h mit ihrem Vater. Sie hat vergleichsweise lange warten müssen, wobei das heute auch nur eine 3/4 Stunde bedeutet, so wenige Kinder sind im Warteraum und so wenig akute Fälle gibt es. M.s Vater berichtet, dass seine Tochter seit zwei Tagen eine trockene Stelle am Ohrläppchen hat. Beim abendlichen Duschen ist den Eltern aufgefallen, dass die Stelle größer geworden ist. Kein Juckreiz, ansonsten bester Allgemeinzustand, nur im Bett drücke die Stelle ein wenig, wenn das Ohr auf dem Kissen liege. Eigentlich bin ich nicht unwirsch oder genervt, wenn Eltern sich mit ihren Kindern vorstellen, denn subjektiv steckt dahinter immer Sorge um das eigene Kind und der Wunsch nach Beratung und Hilfe. Dennoch frage ich mich manchmal, ob der gemeinen Elternschaft klar ist, dass eine Notaufnahme für Notfälle gedacht ist und keine kinderärztliche Sprechstunde ersetzt. Ich stelle den Verdacht auf eine Pilzinfektion, kläre M.s Vater auf, schicke ihn am Montag zum Kinderarzt, damit ein Hautabstrich gemacht wird. Dankbar verlassen Vater und Tochter die Notaufnahme.

T. ist knapp zwei Jahre alt und hat seit drei Tagen Fieber, bereits gestern war seine Mutter mit ihm beim Kinderarzt, der einen Virusinfekt vermutet hat. Heute ist das Fieber noch einmal höher gestiegen, daher die erneute ärztliche Vorstellung. T. schreit bei der Untersuchung wie am Spieß. Er ist müde und hat keine Lust, von mir angefasst zu werden, was ich beides gut verstehen kann. Trotzdem muss ich mir ein Bild von ihm machen. Sehr roter Rachen, feinfleckiges Exaktem am Rumpf (Körperstamm). Ich bestätige den Verdacht auf einen Virusinfekt, bestimme aber vorsichtshalber noch den Entzündungswert (CrP), um eine sekundäre bakterielle Infektion auszuschließen und mache eine Blutgasanalyse, um den Flüssigkeitshaushalt des Patienten zu überprüfen. Dehydriert (‚ausgetrocknet‘) wirkt er klinisch nicht, aber T.s Mutter berichtet, dass ihr Sohn heute trotz Fieber wenig getrunken hat. Beide Befunde sind unauffällig, T. darf wieder gehen und endlich ins Bett.

J.s Vater begrüßt mich begeistert, als ich das Untersuchungszimmer betrete. Vor etwa zehn Tagen habe ich seinem Sohn ein Antibiotikum verschrieben, der kleine Mann hatte einen Wespenstich, der sich sekundär bakteriell infiziert hat. Es habe gut geholfen, die Haut sei längst wieder unauffällig und dem Jungen gehe es sehr gut. Ich freue mich über die nette Begrüßung. Wenn die Patienten, die ich in der Notaufnahme gesehen habe, nicht kurz danach wiederkommen und im schlimmsten Fall stationär aufgenommen werden, ist das eine sehr indirekte Rückmeldung dafür, dass ich wohl richtig entschieden habe. Unmittelbares Feedback wie dieses hier bekomme ich selten. Heute ist also der mir bekannte Vater mit seiner Tochter hier. J. hat schon seit ein paar Tagen hohes Fieber, Husten und Schnupfen. Nach Fiebersaft gehe es ihr immer für ein paar Stunden gut, sie esse insgesamt weniger als sonst, trinke aber gut. Der Fiebersaft mache inzwischen Magenschmerzen. Roter Rachen, auf der linken Seite ein rotes Trommelfell, niedriger Entzündungswert. Auch J. entlasse ich mit der Diagnose Virusinfekt, empfehle aber, vorerst lieber Paracetamol als Ibuprofen gegen das Fieber zu geben, das reizt den Magen nicht so.

Keine schweren Schicksale diesmal, keine Jugendliche mit selbstverletzendem Verhalten oder Suizidgedanken, nicht so wie letzte Woche. Kein akuter Krampfanfall, keine schwer kranken Kinder. Am Ende meines Dienstes bin ich erleichtert.

Kinderheilkunde ist ein tolles Fach, weil Arbeit mit Kindern Spaß macht und erfrischend ist, finde ich zumindest. Die kleinen Patienten überraschen nicht selten mit lustigen Kommentaren. Wie der todernste Dreijährige, der vor mir saß und seiner Mama etwas auf Russisch zuflüsterte, während ich noch dabei war, die Krankengeschichte zu erfragen. Weil ich neugierig war, worum es ging, bat ich seine Mutter, das eben gesagte zu übersetzen. Diese lachte verlegen. ‚Er hat nur angemerkt, was für kleine Ohren Sie haben!‘. Wo bekommt man schon ‚Komplimente‘ dieser Art?

Hach ja, so ein Sommerdienst kann wirklich Spaß machen.

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