Teambuilding on-the-job

‚Und wenn du schnell bist, dann kann ich das Zimmer in zehn Minuten mit dem Kind besetzen, das mit dem Rettungswagen angekündigt ist.‘ Schwester J. ist auf Zack, was in der Notaufnahme und generell im Krankenhaus, wo fast immer mehr zu tun ist als Zeit da, generell nicht verkehrt ist. Trotzdem bin ich so langsam empört und habe das Bedürfnis, mich zu wehren. ‚Mach mir doch keinen extra Druck!‘, werfe ich ihr zu und verschwinde im Behandlungszimmer. Schon öfter hat sie mir nahezu diktiert, was ich machen soll und nicht immer habe ich die Situation klinisch so eingeschätzt wie sie. Diesmal hat sie Recht, das zweijährige Mädchen, dem ich mich zuwende, macht einen sehr guten Eindruck. Vorhin habe seine Mutter eine kleine Papel am linken Augenlid gesehen, die sich eröffnet habe, kurz danach sei das Auge minimal eitrig gewesen. Ansonsten bester Allgemeinzustand, fieberfrei, das Mädchen lässt sich geduldig von mir untersuchen und verfolgt aufmerksam, was ich mit ihr anstelle. Ich gebe ihr Kochsalz-Tropfen mit, mit denen kann sie das Auge ein wenig spülen, ansonsten weiter beobachten und ab nach Hause.

Später kommen wir zur Ruhe.

Corona- und Lockdown-bedingt haben wir nach wie vor viel weniger Patienten in der Notaufnahme als in einem ’normalen‘ Winter. Schwester J. erzählt, dass sie langsam das Gefühl hat, zu lange ‚raus‘ zu sein. Vor vier Jahren ist sie in Ruhestand gegangen, seitdem arbeitet sie etwa zweimal pro Monat, weil man so eine erfahrene Schwester wie sie sehr gut brauchen kann, aber auch, weil es schön ist, immer mal wieder alte KollegInnen zu sehen und den Kontakt zur Klinik noch nicht ganz zu verlieren. Sie erklärt mir, dass sie nun zunehmend gefordert ist – vom neuen IT-System und von neuen Geräten, in die sie nicht gut eingearbeitet wird oder die sie so selten nutzt, dass sie jedes Mal neu überlegen muss, wie sie noch mal funktionieren. Neue KollegInnen (wie ich) kennen sie nicht; und in vereinzelten Diensten zusammen lernt man sich nicht gut kennen.

Es ist ein gutes Gespräch. Meine Entrüstung über den leicht kommandierenden Ton, den Schwester J. im Umgang mit mir schon öfter an den Tag gelegt hat, geht in Verständnis über. Sie hat mir Jahrzehnte an Erfahrung voraus, wenn es darum geht, kranke Kinder einzuschätzen. Gleichzeitig trage ich die Verantwortung, wenn ich ein Kind nach Hause schicke – und gerade weil ich noch unerfahrener bin und dennoch sicher gehen will, nichts zu übersehen, arbeite ich gründlich – und in ihren Augen sicherlich teilweise zu langsam.

Im Krankenhaus sind die Teams ständig neu zusammengesetzt.

Allein durch den Schichtdienst und die Notwendigkeit, dass eine Versorgung rund um die Uhr stattfindet, treffen ständig neue PflegerInnen und ÄrztInnen aufeinander. Müssen sich Namen merken, einschätzen, wie sehr sie auf das fachliche Urteil des Gegenüber vertrauen, so miteinander kommunizieren lernen, dass die Botschaft auch ankommt. Der Pflegemangel überspitzt das ganze – auch in unserer Kinderklinik haben wir auf den einzelnen Stationen etwa monatlich neue ZeitarbeiterInnen im Dienst, die aushelfen und oft eher nebenbei als gründlich eingearbeitet werden. Manche sind so, dass sowohl die Pflegedienstleitung als auch wir KollegInnen um sie werben und versuchen, sie zu überreden, doch fest bei uns zu bleiben. Andere sind so, dass es heißt, ‚man muss halt nehmen, wen man kriegen kann‘; ein Urteil, was wohl vernichtender nicht sein könnte.

Mit Schwester J. habe ich mich am Ende des Dienstes versöhnt. Wir haben uns besser kennen gelernt, wissen um die Situation der anderen und sind verständnisvoller. Hoffentlich überlegt sie es sich noch mal und hört nicht Mitte des Jahres endgültig auf, wie sie es vorhin angekündigt hat.

Denn jetzt haben wir ja gerade eine gute Ebene gefunden zur erfolgreichen Zusammenarbeit. Und dann darf auch gern mal der Status Quo bleiben.

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