Erste Woche Spätdienst. Eigentlich bin ich noch in der Einarbeitung und soll die +1 im Dienstplan sein. Doch der Dienstplan funktioniert nur, wenn alle da sind. Sind sie aber nicht. Ein Kollege hat sich krank gemeldet, eigentlich sollte er den Nachtdienst machen. Eine Kollegin hat sich bereit erklärt, diesen für ihn zu übernehmen. Ihr Dienst muss nun besetzt werden, ein kleines Personalkarussel fängt an, sich zu drehen. Die Konsequenz? Ich bin nicht mehr die +1. Sondern die dritte Person im Spätdienst.
Es geht ganz gut los.
Tag 1: Die Notaufnahme ist voll, aber es macht Spaß. Ich bin mittlerweile wieder ganz gut drin und fühle mich fit in der klinischen Untersuchung, weiß, wo ich was dokumentiere und welche Schnelltests typischerweise bei welchen Symptomen üblich sind. Als der Nachtdienst kommt, der uns ablösen soll, ist noch nicht daran zu denken, alle Patienten einer Person zu überlassen. Dafür sind noch zu viele Kinder in der Wartehalle, werden immer wieder welche von ihnen aufgenommen und benötigen einen Zugang, eine Blutentnahme, Anordnungen für den nächsten Tag. Der Spätdienst, meine beiden Kolleginnen und ich, bleiben und arbeiten ab, gemeinsam mit unserer Kollegin aus dem Nachtdienst. Zum ersten Mal wird mir so richtig bewusst, warum manchmal von ‚Hamsterrad‘ gesprochen wird. Dienstschluss letztendlich um 02.30h. Zwei Überstunden zu spät.
Tag 2: Die Notaufnahme ist voll. Ich diagnostiziere meine erste Lungenentzündung, freue mich, dass die Kinder mit Gastroenteritis (Magen-Darm-Infekt), die ich sehe, noch nicht exsikkiert (gewissermaßen ausgetrocknet) sind und vorerst noch einmal nach Hause dürfen. Vereinbare für eine Patientin, deren Symptome nach einem Gallensteinleiden klingen, einen Ultraschall-Termin für den nächsten Tag. Verweise die Eltern des Kindes mit dem akut verschlechterten Hautbefund bei Atopischem Ekzem (früher Neurodermitis) an die dermatologische Sprechstunde. Immer wieder in enger Rücksprache mit meinen Kollegen, die vollstes Verständnis dafür haben, dass ich noch nicht alles alleine entscheiden möchte. Es läuft. Dienstschluss um 01.30h, nur eine Stunde später als vorgesehen.
Tag 3: Ähnlich wie die Vortage. Es läuft immer weiter. Dienstschluss um 02:30h, zwei Überstunden.
Tag 4: Um 15.45h. hat der Dienst angefangen. Heute bin ich für das ‚Haus‘ zuständig. Meine Kolleginnen sind in der Notaufnahme, ich habe einige Kinder auf meinem Zettel, deren Labor ich später überprüfen soll, bei denen ggf. eine Therapie angesetzt wird und drei Kinder, die noch eine Röntgen-Thorax-Untersuchung bekommen sollen und deren Bilder ich mir anschauen soll. Dazu zwei neue Aufnahmen, die zu versorgen sind (Blutentnahme, Zugang, ggf. Urin-Katheter; später die Laborwerte nachsehen). Mein Telefon klingelt, auch auf der zweiten Station ist ein neues Kind aufgenommen worden, außerdem hat ein Vater Sorge um seine Tochter und wünscht sich, noch einmal mit einem Arzt zu sprechen. Dann meldet sich auch die dritte Station. Ob ich einer Patientin noch mal in die Ohren schauen könne, sie habe ihrer Mutter gegenüber vorhin über Ohrenschmerzen geklagt. Aber klar, gerne! (Und das meine ich nicht ironisch.) Das nächste Mal sollte ich mir einen Schritte-Zähler mitnehmen, ich bin mir ziemlich sicher, dass ich auf so einige Kilometer und Stockwerke komme, so wie ich hin und her laufe. Und dass, obwohl ich versuche zusammenzulegen, was zusammenzulegen ist. Parallel sind meine Kolleginnen in der Notaufnahme, die ähnlich voll ist wie in den vergangenen Tagen.
Erst um 03.30h mache ich mich auf den Weg nach Hause, drei Stunden später als vorgesehen. Todmüde und ernüchtert. Der Winter hat gerade erst angefangen. Gut möglich, dass es von jetzt an bis März in etwa so weitergeht.
Tag 5: Wird ähnlich werden wie der Rest der Woche. Zu Dienstbeginn weist uns unsere Kollegin aus dem Tagdienst auf drei Papiertüten hin, die auf dem Tisch liegen und schon etwas fettig durchsapschen. Unsere Oberärztin hat uns – als Dank für den Einsatz der letzten Tage – jedem einen Muffin dagelassen. Mir ist bewusst, dass es primär um die Geste geht. Gerade bin ich aber zu erschöpft, um diese wertzuschätzen, sondern werde wütend. Wir schuften seit Tagen bis spät in die Nacht – und als Dank ein Muffin? Natürlich, die Überstunden werden registriert und auch bezahlt (wie ich damit umgehen soll, dass wir keine Pause hatten, weiß ich noch nicht, das werde ich unsere Assistentensprecher bei nächster Gelegenheit fragen). Aber trotzdem: Ich möchte keinen Muffin. Ich will auch kein extra Geld für Überstunden bis spät in die Nacht. Ich wünsche mir einen Dienstplan, der es mir auch im Winter ermöglicht, nach meinem Dienst nach Hause zu gehen. Und der es den kleinen Patienten ermöglicht, auf Ärzte zu treffen, die nicht schon seit elf Stunden auf den Beinen sind und Schwierigkeiten haben, sich zu konzentrieren. Schließlich ist klar, dass in einer Kinderklinik nun die Hochsaison losgeht. Und bei so vielen Kollegen im Haus dürfte ein Krankheitsfall doch nicht überraschend kommen. (Auch wenn Ärzte sich ja bisweilen selbst für unverwundbar halten, hat doch die Realität gezeigt, dass es sie auch mal umhaut.) Und es ließe sich mit Sicherheit sehr leicht auswerten, wie oft und wie viel die Kollegen im vergangenen Jahr länger geblieben sind. Doch den Dienstplan anpassen oder Stellen schaffen? Ich habe nicht den Eindruck, dass in diese Richtung gedacht wird. Von welchem Geld auch? Die Personalkosten sind ein riesiger Posten in den Krankenhausausgaben und irgendwie ist es ja auch so immer gut gegangen.
Der Mensch – Patient und Personal – steht hier gerade nicht im Mittelpunkt.
Empörung steigt in mir auf. Denn – eigentlich – war die Woche wirklich toll und hat viel Spaß gemacht. Aber jeden Tag 10 bis 12 Stunden non-stop – das übersteigt meine Kräfte. Ich habe Angst, etwas zu vergessen oder zu übersehen. Und überhaupt, es ist nicht das, was vertraglich vereinbart ist oder wozu ich mich guten Gewissens ‚committed‘ hätte.
Noch bin ich ganz neu und werde noch weiter beobachten. Aber nicht ewig.
So war es schon immer in den meisten Krankenhäusern:
Ich erinnere mich an meinen Dienst in den 90er Jahren: Tagdienst 7-16h, aber man kam nie vor 19h heim. Wenn man Nachtdienst hatte, blieb man halt nach 19h einfach da bis zum nächsten Tag um 19h, also 36h am Stück, in der Woche meistens um die 100 Stunden.
Trotzdem war es eine wunderbare, erfüllte Zeit.
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