Handarbeit in der Ophthalmologie

Auch die kleinsten Aufgaben sind spannend, wenn man sie selbst ausführen darf. Ich bin heute für den Sehtest und das Messen des Augeninnendrucks verantwortlich. Noch nicht einmal ärztliche Tätigkeiten. Aber immerhin kann ich mich nützlich machen und habe Patientenkontakt. Ich arbeite der Assistenzärztin zu; anschließend erhalten meine Patienten von ihr eine intraokuläre Injektion mit einem anti-VEGF-Medikament. Sie leiden an einem OMD (‚œdème maculaire diabétique‘ = Makulaödem). In diesem Krankheitsbild besteht die Gefahr, dass sich neue Gefäße im Auge bilden, die das Sehvermögen einschränken können. Das Medikament, das direkt in den Augapfel gespritzt wird, macht dem Signal zur Wachstumssteigerung Konkurrenz und hält somit die Krankheit in Schach. Faszinierend! Auch wenn ich so manche Kritik an der modernen Medizin gut nachvollziehen kann: Sie hat zweifellos sehr viel Fortschritt gebracht und erleichtert vielen Patienten das Leben immens. Bei allen – zum Teil zu Recht – bemängelten Missständen: das darf man nicht außer Acht lassen.

Der Raum ist unglücklich eingerichtet, das habe ich in den letzten Tagen schon in der ‚Consultation‘, der Sprechstunde der Oberärzte, bemerkt: Aus Platzgründen ist der Schreibtisch direkt an die Wand gestellt, so dass die Mediziner im Gespräch mit den Patienten kaum Blickkontakt halten bzw. halten können. Denn aus Effizienzgründen notieren sie parallel bereits die Gesprächs- und Messergebnisse. In unserem Krankenhaus per Hand in allerschönster Ärzte-Schrift (nur leserlicher dürfte sie meist sein) auf kleine orangene Karten; teilweise haben die Patienten schon einen ganzen zusammengetackerten Stapel der Kärtchen, denn die meisten von ihnen müssen sich einmal im Monat ihre Spritze abholen. Wie altmodisch und hübsch zugleich! Aus blödsinnigen narzisstischen Gründen hat diese Arbeitsweise auch für mich seinen Reiz: Ich muss zugeben, dass ein klein wenig Stolz in mir aufsteigt, als ich meine Handschrift und meinen Namen in den Patientenakten verewige. Eigentlich habe ich den Anspruch, mich meinen Patienten im Gespräch zuzuwenden, merke heute aber schnell, dass das der Raumaufteilung wegen gar nicht so einfach ist. Zumal ich mich noch ziemlich darauf konzentrieren muss, wie ich die Fernbedienung des Sehtest-Bildschirms und das Messgerät bediene. Auch einfache Handgriffe brauchen ihre Zeit, bis sie verinnerlicht werden. Doch die Patienten sind zum Glück geduldig und freundlich. Ich erkläre ihnen, dass ich eine Studentin aus Deutschland bin; die meisten finden das interessant, einige haben Verbindungen in meine Heimat, erzählen, welche Städte sie kennen. Oder aber sie haben Kinder oder Enkel, die auch einige Zeit im Ausland studiert haben. Ein wenig Smalltalk macht das Arbeiten angenehmer und ist zuweilen sehr unterhaltsam.

Nach jeder Messung trage ich die Patientenakte im großen blauen Din A2- Umschlag zur Sekretärin, das Zeichen dafür, dass der Patient bereit ist für seine Spritze. Dass im Jahre 2016 noch so viele Dinge nicht automatisiert ablaufen, ist mir unbegreiflich. Aber dafür stehen ja in Frankreich zumindest die Studenten als günstige Arbeitskräfte zur Verfügung; und obwohl die Aufgaben teils nicht unbedingt spannend sind, muss ich zugeben, dass es mir gut tut, so viel Zeit im Krankenhaus zu verbringen: Nebenbei schnappe ich viele Dinge auf, die ich bereits in der Vorlesung kennen gelernt habe und es fällt mir leicht, mir Krankheitsbilder, Untersuchungsabläufe und diagnostische Kriterien zu merken, wenn ich beim Lernen am Schreibtisch meine Eindrücke in der Klinik und sogar einige Gesichter von Patienten Revue passieren lassen kann. Ein Lob auf die Praxis im Medizinstudium.

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