Augen retten

Madame P. ist den Tränen nahe. Dr. Aube gibt sich alle Mühe, aber ihre Patientin lässt sich nur schwer trösten. Wie auch. Sie trauert um den Verlust ihres Augenlichtes. Und das im jungen Alter von 48 Jahren. Gerade hat die zurückhaltende stämmige Frau verstanden, dass die Behandlung ihr ihre volle Sehkraft nicht wird zurückgeben können. Die Ärztin kann mit der medikamentösen Therapie nur dafür sorgen, dass zumindest der Status Quo aufrecht erhalten bleibt. Sind Nervenfasern erst einmal untergegangen, gibt es heutzutage noch keine Möglichkeit, dies wieder rückgängig zu machen. Wer weiß, vielleicht gelingt es der Forschung irgendwann. Momentan hilft nur die frühzeitige Therapie – bevor unwiederbringlich Gewebe abstirbt.

Hinter einem Glaukom, im Volksmund auch als ‚grüner Star‘ bekannt, verbirgt sich ein pathologisch erhöhter Augeninnendruck. Dieses Krankheitsbild gehört zu den wichtigsten und häufigsten der Augenheilkunde, in Deutschland erkranken daran 10% der Menschen im Laufe ihres Lebens. Bei frühzeitiger Diagnose kann der Augeninnendruck mittels regelmäßiger Gabe von Augentropfen oder auch einer chirurgischen Intervention in Schach gehalten werden. Madame P. ist leider erst viel zu spät beim Augenarzt vorstellig geworden. Wie viele Patienten in meinem Uni-Krankenhaus hat sie afrikanische Wurzeln und lebt noch nicht lange und nicht ununterbrochen in Frankreich. Nicht immer hatte sie problemlos Zugang zu medizinischer Versorgung.

Beim Sehtest hat Madame P. selbst Buchstaben von einer Größe von etwa 10cm aus einer Entfernung von 3m nur erahnen können. Und statt die zum Abschied ausgestreckte Hand der Ärztin zu schütteln, ist sie fast dagegen gelaufen, weil ihr Sichtfeld so stark verkleinert ist. Gut, dass Dr. Aube sie für ein Programm angemeldet hat, in dem sie lernt, sich im Alltag weiterhin gut zurechtzufinden und so lange wie möglich autonom zu bleiben.

Eine Früherkennungsuntersuchung für das Glaukom – die regelmäßige Messung des Augeninnendrucks – wird in Deutschland ab dem 40. Lebensjahr empfohlen, ist aber eine Leistung, die der Patient nicht von seiner Krankenkasse erstattet bekommt. Auf der Internetseite der TK ist zu lesen, dass nicht erforscht sei, ob ein bundesweites Programm zur Prävention sinnvoll wäre. Dabei gehe zum Beispiel darum, ob möglicherweise falsch positive Befunde entstehen könnten – das heißt, dass Patienten eine medikamentöse Therapie inklusive Nebenwirkungen verschrieben bekämen, die diese gar nicht benötigten. Aus meiner Sicht ist dieses Argument in diesem Fall allerdings nicht besonders schlagkräftig. Denn für die Messung des Augeninnendrucks gibt es zwei Möglichkeiten, die eine (per Luftstrahl) ist etwas ungenauer, könnte aber vermutlich gut als Screening eingesetzt werden und somit alle ‚verdächtigen‘ Patienten herausfischen. Die andere (per Druckstempel) ist genauer, bedarf aber ein klein wenig mehr Training desjenigen, der die Maschine bedient und könnte bei all denen angewendet werden, die in der ersten Untersuchung auffällig geworden sind. Ob es dann wirklich noch Leute gäbe, bei denen nur fälschlicherweise ein Glaukom diagnostiziert wird? Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Vermutlich spielen in diesem Fall wirtschaftliche Überlegungen eine große Rolle.

Auch in Frankreich gibt es kein nationales Früherkennungsprogramm. Aber in unserer Klinik zumindest einen einmal im Jahr stattfindenden Aktionstag, an dem Patienten kostenfrei ihre Augen untersuchen lassen können. Bestimmt gibt es so etwas in Deutschland ebenfalls. Also, auf, auf, allez-y! Und ansonsten – bei Beschwerden frühzeitig den Arzt aufsuchen. Das hätte auch Madame P. ihr Schicksal um einiges erleichtert. Richtig sch**** sowas.

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