Etwas Respekt, bitte!

Mitten im PJ, aus dem Chirurgie-Tertial auf Bali. 

Im Krankenhaus

A. ist heute erst den zweiten Tag im Krankenhaus. Genau wie ich ist sie für einen Teil ihres PJs hergekommen. Heute wie gestern war sie im OP. Doch anstatt Eindrücke auf sich wirken zu lassen, hat sie bereits eine feste Meinung geformt.

‚Die machen hier echt, was sie wollen. Vollkommen planlos haben die operiert und dann auch noch gelacht, als der Faden beim Knoten zum zweiten Mal gerissen ist. Unglaublich!‘

‚Naja, das passiert doch in Deutschland auch mal‘, wirft I., eine weitere deutsche Kommilitonin, beschwichtigend ein.

‚Und das Lachen, das ist zum Teil einfach ein kulturell bedingt anderer Umgang mit Schwierigkeiten‘, versuche ich ebenfalls abzumildern.

Doch A. schüttelt den Kopf, presst mit einem spöttischen Lächeln die Lippen aufeinander und zieht die Augenbrauen hoch. ‚Nein, wirklich, das ging gar nicht. Ihr ward ja nicht dabei.‘

Ein Todschlagsargument.

Nun gut, ich habe das Gefühl, dass sich A. in dieser Hinsicht nicht weiter von uns belehren lassen will. Soll sie doch. Allerdings frage ich I., die schon die fünfte Woche im balinesischen OP ist, ob sie auch so einen schlechten Eindruck habe wie A. von dem Können der indonesischen Ärzte. Sie schüttelt den Kopf.

‚Wenn, dann haben die hier teilweise nicht alles an Material, was wir in Deutschland haben und gehen daher anders vor. Aber die wissen ganz genau, was sie tun und operieren – soweit ich das beurteilen kann – sehr sorgfältig.‘

Wie wäre es, mal an der eigenen Einstellung zu arbeiten?

Ein Snob: Jemand, der sich anhand eines einzelnen Eindrucks von jemandem ein komplettes Bild von dessen Persönlichkeit macht. Oder: jemand, der sich anhand einiger Beobachtungen im OP (ungeachtet der evtl. selbst unzureichenden Kompetenzen) ein Bild von den chirurgischen Fähigkeiten der Gesamtheit der indonesischen Ärzte macht.

Ein Kommilitone von mir spricht von der arroganten Attitüde ehemaliger Kolonialherren.

Ein Vergleich, der mich nachdenklich stimmt. Denn es stimmt irgendwie: Es gibt im Denken so oft ein ‚Wir‘ und ein ‚Die‘. Und ‚Wir‘ urteilen streng über ‚Die‘ und sehen uns in der Position, das zu können und dürfen. Denn schließlich läuft es ‚bei uns‘ halt einfach besser, so insgesamt. Dazu kommt hier im PJ auf Bali das selbstbewusste (manchmal selbstgerechte) Auftreten und die selbstverständliche Inanspruchnahme einer Vielzahl von Dienstleistungen. Wohnen in einer Villa, inklusive Putzfrau, Pool und Poolboy. Massage, Nagelpflege, Restaurants.

Vermutlich gibt es auf der Gegenseite genauso unüberlegte Kommentare über ‚uns‘, die ‚Bules‘, so nennt man die Touristen hier abfällig. Auf eine andere Art und vielleicht über etwas anderes. Aber ist es deswegen richtig? Wie wäre es mit ein bisschen mehr Wertschätzung, weniger Beurteilung und mehr Begegnung auf Augenhöhe? Und ist das nicht auch eine Haltung, die nicht nur hier, sondern auch in Deutschland in unserem zukünftigen Beruf (und jedem anderen und ganz allgemein gesellschaftlich) gut täte?

Wenn ich es recht bedenke, gibt es in Deutschland viel zu oft ein ‚die‘ und ein ‚wir‘. Meist fängt es im Kleinen an, aber die Art und Weise, zu denken, ist im Endeffekt die selbe. Die Schwestern. Die Patienten. Die Migranten. Die Muslime. Wir Deutschen.

Dabei ist die Welt doch viel komplexer.

Zum Glück!

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