Die Zeit rinnt mir durch die Finger. Schon ist das zweite Tertial fast am Ende, dabei schien die Zeit bis Weihnachten doch noch so lange hin bis vor kurzem, und dann war plötzlich schon der 1. Dezember und dann Nikolaus und nun ist selbst der dritte Advent vorbei! Obwohl ich inzwischen weiß, dass alles immer schneller kommt, als ich es vorab erwarte, nützt mir diese Erkenntnis nichts. Obwohl ich darauf vorbereitet bin, kommt alles trotzdem schnell oder fast noch schneller.
Heute bin ich erschöpft, der Tag war lang. Gut zwar, abwechslungsreich die Visite, süß die Kinder, interessant einige Krankengeschichten, erfolgreiche Blutentnahmen. Immerhin zwischendurch ein paar ruhige Minuten im Arztzimmer, Briefe diktieren mit einer Tasse Kaffee. Keine Selbstverständlichkeit, es gab auch schon Tage, an denen das irgendwie unterging. Und an denen ich auf dem Nachhauseweg Kopfschmerzen hatte. Nicht durch den Koffeinmangel, nehme ich an. Aber weil keine Zeit war zum kurz hinsetzen, einen heißen Schluck zu nehmen und durchzuatmen.
Ich sorge für Ausgleich. Ich entspanne bewusst, mache Sport, atme schon tagsüber mal tief durch. Und trotzdem ist es einfach viel. Und ich merke, dass ich aufpassen muss, nicht zu übertreiben.
Arbeiten wir zu viel?
So einiges gibt mir zu denken: Kollegen, die die Schultern hängen lassen und ihrem Ärger inzwischen lautstark Luft machen. Über die hohe Belastung, die unmenschlichen Erwartungen vonseiten des Arbeitgebers. Die äußern, dass sie das nicht länger mitmachen, die über Möglichkeiten nachdenken, sich beruflich umzuorientieren. Auf der einen Seite. Aber vor allem auf der anderen Seite: gestresste Kinder, die schon im Grundschulalter bei uns in der Klinik erscheinen mit Beschwerden, die rein körperlich nicht zu erklären sind. Chronischen Bauchschmerzen, Schlafstörungen, komplexen Schmerzbildern. Panikattacken, Essstörungen.
Eigentlich ist es doch so einfach, oder?
Eine Freundin von mir hat vor ein paar Wochen ein Baby bekommen. Und Klein-Sophie weint, wenn es ihr an etwas fehlt. Und meine Freundin reagiert und probiert aus, worum es geht. Will sie kuscheln? Hat sie Hunger? Will sie allein liegen? Ist die Windel voll? Rumort es im Bauch? Als Mutter ist sie ständig darauf bedacht, für die Bedürfnisbefriedigung ihres Kindes zu sorgen – Sophie hat Glück. Denn nicht allen Eltern gelingt das überhaupt. Und irgendwann setzt der Alltag ein, Kindergarten, Schule, Arbeit. Und wir scheinen zu verlernen, auf unsere Körper zu hören.
Ich will nicht über einen Plan B nachdenken. Ich will Ärztin werden. Aber ich möchte mich, meinen Körper und meine Psyche darunter nicht vergessen. Ich bin überzeugt davon, dass ich mich nur um andere kümmern kann, wenn es mir selbst gut geht. Und dass es meine Verantwortung ist, dafür zu sorgen, dass mir das gelingt. Und ich merke, dass das gar nicht so einfach ist in unserer Gesellschaft und im deutschen Krankenhausalltag.