Lernen am Patientenbett

In einem Jahr Erasmus in Frankreich habe ich im Krankenhaus viel gelernt. Ich habe Anamnesegespräche geführt, Übung in der körperlichen Untersuchung bekommen, hin und wieder im OP assistieren dürfen (Haken halten, nähen, auch mal bei einem laparoskopischen Eingriff die Kameraführung übernommen), ein paar Arterien punktiert, EKG geklebt und ausgewertet. Von den meisten dieser Dinge würde ich keineswegs behaupten, dass ich sie schon einwandfrei beherrsche; aber ein paar Schritte bin ich vorangekommen.

Eine Sache, die in Deutschland auf vielen Stationen zu den typischen Aufgaben von Blockpraktikanten und Famulanten gehört, habe ich in Frankreich allerdings kein einziges Mal gemacht: Blut abgenommen. Denn dort gehört diese Aufgabe zum Verantwortungsbereich der Krankenschwestern.

Aller Anfang ist schwer

Bei unseren Patienten auf der Pulmologie kommt erschwerend hinzu, dass die Gefäße der meisten Patienten schon ziemlich zerstochen und ohnehin oft sehr zart oder auch gut fettumpolstert sind – insofern keine leichte Aufgabe. Jeden Morgen ziehe ich trotzdem gemeinsam mit meinen Kommilitonen von Zimmer zu Zimmer und versuche mein Glück; um den Ärzten Arbeit abzunehmen und – zu üben. Die Patienten sind überwiegend verständnisvoll und geduldig; für mich ist es trotzdem ein seltsames Gefühl, wenn der erste Versuch nicht auf Anhieb klappt oder ich die ausgewählte Vene kollabiert kurz bevor das zweite Röhrchen ausreichend gefüllt ist – und ich noch ein zweites Mal ran muss.

An einem Nachmittag (nach einem eher mäßig zufriedenstellenden morgendlichen Blutentnahmedienst) übe ich mit einer Kommilitonin noch einmal in unserem Studenten-Trainings-Zentrum; erst an einer Puppe, aber weil das irgendwie doch ganz anders ist an so einem Plastikarm, an uns gegenseitig. Denn unsere Puppe ist wohl vor allem auch dafür gut ist, nichts an Material zu vergessen und die Abfolge an Handgriffen zu trainieren – stauen, Vene suchen, desinfizieren, vor Einstich warnen, stechen, Röhrchen wechseln, entstauen, zurückziehen, abdrücken, Pflaster aufkleben. Der Arm selbst fühlt sich natürlich anders an als bei unseren Patienten. Unsere Venen sind echt; zwar in einem deutlich besseren Zustand als die unserer Patienten, aber immerhin sammeln wir beide auf diesem Wege noch ein Erfolgserlebnis.

Die Patienten machen uns Mut

Am nächsten Tag, unserem letzten vor Weihnachten, sollen die Pantoprazol-Tabletten (ein Magensäure-Hemmer) von Herrn K. auf eine venöse Infusion umgestellt werden; die Ärzte sind sich mittlerweile sicher, dass die Luftnot und das retrosternale Ziehen, die den Patienten plagen, weder von seinem Herzen noch seiner ausgeprägten COPD herrühren – sondern von einer schweren Gastritis. Und diese auf diesem Wege effektiver behandelt werden kann. Meine sehr sympathische Stationsärztin schaut mich an. ‚Könntest du dem Herrn K. einen Zugang legen?‘

Der zweite Versuch ist erfolgreich. Herr K. lobt mich – die meisten Patienten spüren, dass unsere Handgriffe noch nicht ganz so routiniert und selbstbewusst sind und nicht selten ermuntern sie uns, es doch ruhig noch einmal zu versuchen oder auch beherzter zuzustechen. Auch die drei Zimmergenossen von Herrn K. stimmen zu; sie wüssten schließlich, dass Mediziner erst ausgebildet werden müssten und seien froh darüber, dass wir da seien, so dass sie auch in zwanzig Jahren noch gut versorgt werden würden. Ich freue mich über diesen Zuspruch; und hoffe gleichzeitig inständig, dass die allesamt schwer erkrankten Patienten zumindest noch ein paar Jahre vor sich haben. Dass es zwanzig werden könnten, daran habe ich nach der Visite heute früh leider meine Zweifel…

Weihnachten im Krankenhaus

Aber diese Gedanken schiebe ich schnell wieder von mir. Es herrscht gute Stimmung im Raum; die Stationsärztin hat mir vorhin anvertraut dass sie bei zumindest zwei der Patienten vermutet, dass diese auch deshalb gerade jetzt, kurz vor Weihnachten mit ihrer COPD, einer chronischen Lungenerkrankung, ins Krankenhaus gekommen seien, um die Feiertage nicht allein zu Hause verbringen zu müssen. Es gibt nämlich beide Typen von Patienten, diejenigen, die mit den Ärzten verhandeln, zu den Feiertagen wieder entlassen zu werden und diejenigen, die eher unglücklich sind, wenn über eine baldige Entlassung geredet wird.

Weihnachten auf Station – mit einem netten Team und durchaus weniger Patienten als sonst – inzwischen kann ich mich mit dem Gedanken fast anfreunden, dass der erste Dienst für mich nicht mehr so lange entfernt sein dürfte. Aber noch ist es nicht so weit und ich genieße die Feiertage gemeinsam mit meiner Familie.

Frohe Weihnachten! 

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