Der West Highland Way ist ein Fernwanderweg und führt über 154km von Glasgow Richtung Norden nach Fort William. Wunderschön!
Tag 6: Dem Tode nahe
‚Da ist es bestimmt, siehst du? Da wo die Leute stehen und Pause machen? Ich glaube, wir sind schon fast oben!‘ Meine Schwester schöpft neue Energie und setzt den Aufstieg strammen Schrittes fort. Ich habe etwas Zweifel daran, dass wir wirklich schon oben sein sollen. Immerhin gilt es heute, die ‚Devil’s Staircase‘ zu erklimmen. Irgendwas muss an diesem Namen ja dran sein, oder?
Doch meine Schwester soll Recht behalten. Ein paar Minuten später sind wir oben. Der Ausblick ist durchaus beeindruckend; aber von dem Namen dieses Pfades sollte man sich nicht zu sehr beirren lassen; er ist wohl nur dann angemessen, wenn man sich den Rest der schottischen Hochländer ansieht und nicht, weil wir eine Strecke gehen, auf der der Teufel zum Tanz einlädt…
Zum Glück haben sich die Wolken, die gerade noch ziemlich verhangen über uns lagen, verzogen. Schön, dass der frühe Vogel auch mal Pech hat und unser etwas spätere Aufbruch uns heute früh nicht nur freie Sicht, sondern auch den Grad an Einsamkeit beschert, den man beim Wandern nun mal schätzt!
Tag 7: Auf der Zielgeraden
Ein letztes Mal brechen wir auf. Kaum zu glauben, wie gut die Schuhe mittlerweile sitzen, wie unsere Körper das Gewicht des Rucksacks integriert haben. Heute treffen wir auf mehr Wanderer als gestern: Die Sonne scheint und der Startpunkt der Strecke ist gut erreichbar, so dass es einige Tageswanderer auf unsere Route verschlagen hat; zum Beispiel die fünf Amerikaner im besten Alter, über die wir witzeln, dass wir sie doch mit den dänischen Rentnerinnen verkuppeln sollten. Die Männer sind noch nicht ein so gutes Team wie wir: zwei von ihnen wandern (wohlgemerkt nur mit Tagesrucksack ausgestattet) zügig, die drei anderen gemütlich. Also überholen wir die Nachzügler und irgendwann dann auch die beiden Schnellen. Denn alle paar Kilometer, bei einem schönen Aussichts- oder Rastpunkt, entscheiden die sich doch, auf ihre Freunde zu warten. Kurz danach legen wiederum wir ein Päuschen ein, trinken ’nen Schluck, machen Fotos, essen einen Keks – und schwupps, die Herren sind uns erneut einige Meter voraus. So geht das Spielchen ein paar Mal, bis wir genug des amerikanischen Small Talks haben und den Herrschaften weglaufen.
Der Weg führt uns über eine Hochebene und fällt dann langsam in ein Tal hinab. Am besten gefällt mir der weiche Waldboden, die Tannen, die links und rechts von uns emporragen, die kalt-feuchte frische Luft.
Ein letztes Mal kommen wir an. Und belohnen uns mit einem Stück Karottenkuchen und einer Tasse heißer Schokolade. Triumph! In der Fußgängerzone sind einige deutsche Touristen zu sehen, zwei ältere Damen sprechen uns an, als sie uns lachen hören und sind beeindruckt, als sie hören, dass wir in der letzten Woche von Glasgow hochgewandert sind. Wir sind auch irgendwie ganz schön stolz darauf, mehr als ich vorher gedacht hätte und insgeheim zugeben möchte. An der Statue einer Wanderikone, die das Ziel des Weges darstellt, treffen wir auf einen jungen Amerikaner, den wir im Laufe der letzten Tage schon ein paarmal gesehen haben. Er erzählt begeistert von den Fernwegen, die es in seiner Heimat zu erwandern gibt: Im Osten den Appalachian und an der Westküste den Pacific Crest Trail. Die sind allerdings von einem anderen Kaliber – wenn man sie von Anfang bis Ende begehen möchte, muss man sich auf mehrere Monate einstellen. Ein bisschen geraten unsere Augen ins Leuchten; aber als wir im nächsten Moment durch die sonnige Straße mit urigen kleinen Läden, Cafés und Pubs schlendern und unsere Sehnen und Muskeln uns daran erinnern, was wir ihnen in den letzten sieben Tagen angetan haben, sind wir wieder auf dem Boden der Tatsachen. Fürs erste war der West Highland Way doch schon sehr in Ordnung.