‚Jetzt seien Sie bitte ruhig und bewegen Sie sich nicht, wir müssen uns konzentrieren.‘ Die Worte der Ärztin sind klar und deutlich. Sie ist angespannt. Das spürt auch der Patient, der eben zum dritten Mal angemerkt hat, dass die OP seines linken Auges länger dauere als die des rechten (das vor zwei Wochen dran war) und sich erkundigt, ob alles seine Ordnung habe. Bis eben hat die Ärztin ihn noch selbstbewusst beruhigen können und die Assistenzärztin, die noch lernt und daher tatsächlich etwas langsamer ist als erfahrene Chirurgen, ihre Arbeit machen lassen. Nun ist leider wirklich etwas schief gegangen und sie fährt dem Patienten über den Mund. Die Oberärztin ist mittlerweile selbst am Werk und versucht, wieder gut zu machen was noch gut zu machen ist. Da ist kein Platz für ein Gespräch mit dem Patienten; genaues kann sie ihm ohnehin erst sagen, wenn der Eingriff vorbei ist und selbst dann wird man noch nicht absehen können, wie sich sein Auge erholen wird.
‚Learning by doing‘
In der Medizin ist es wie in jedem anderen Job: ein Teil ist ‚training on the job‘. Aber wie in einem echten Handwerk bedeutet das auch, dass Fehler ihre Folgen haben und nur zu einem gewissen Grad ausgebessert werden können. Sarah, Assistenzärztin im dritten von fünf Ausbildungsjahren, ist eigentlich schon recht erfahren. Sie hat bereits so manche Katarakt-OP hinter sich. Dabei wird die trübe Linse, durch die der Patient die Welt nur noch unscharf und teils wie durch einen gelben Schleier verhangen sieht, durch ein Implantat ausgetauscht. Der Eingriff dauert – von geübter Hand ausgeführt – oft noch nicht einmal eine Viertelstunde. Doch Sarah hatte heute beim Setzen des Implantats Schwierigkeiten: Dank moderner Technik wird das Auge nur durch einen sehr kleinen Schnitt eröffnet, 2.2mm ist er lang. Je kleiner der Schnitt, desto schneller der Heilungsprozess. Die Linse hat einen Durchmesser von etwa 1cm, wird eingerollt eingesetzt und entfaltet sich erst im Auge. Dafür wird ein spezielles Instrument eingesetzt, eine Art Spritze. Und deren Handhabung erfordert Übung. Eben hat sie etwas geklemmt, die Oberärztin hat noch warnende Worte ausgesprochen, doch schon war es zu spät und Sarah hatte etwas zu kräftig gedrückt: Die Linse war unkontrolliert und mit zu viel Wucht in das Auge geschossen. Dabei ist die Rückseite des kleinen Säckchens, das natürlicherweise die Linse hält und in das eigentlich auch das Implantat hätte gesetzt werden sollen, gerissen. Nun muss die Kunstlinse wieder entnommen und die Operationstechnik geändert werden. Der Eingriff wird insgesamt deutlich invasiver. Still und heimlich haben Assistenz- und Oberärztin die Plätze gewechselt.
Präventionstechniken
Insgesamt sch**** gelaufen, ein Fehler im besonders riskanten Moment der Operation. Ich denke darüber nach, was anders hätte laufen können oder sollen, um dieses Missgeschick mit Folgen zu verhindern.
- Ein einfacher zu bedienendes Instrument? Für die nächste OP wechseln die beiden Ärztinnen auf einen anderen Hersteller, der eine Spritze mit einer Art Rädchen designt hat. Die lässt sich besser kontrollieren. Allerdings wird schnell deutlich, warum die Oberärztin dieses Modell sonst eher ungern benutzt: Die Linse entfaltet sich im Auge nicht unmittelbar von alleine, die Ärztin muss selbst noch etwas fummeln und nachhelfen. Und Manipulationen dieser Art sollten so gering wie möglich ausfallen, verletzen sie doch die empfindlichen Häute und umliegenden Gewebe.
- Keine Musik im OP? Ich persönlich kann zwar verstehen, dass die Chirurgen gern Musik hören, um die Atmosphäre etwas angenehmer zu gestalten. So ein Tag im sterilen Kittel, umgeben von lästigen Geräuschen, ist anstrengend. Piepende Anästhesiegeräte, der brummende Laser, die rauschende Aspiration. Verwirren tut es mich aber dennoch: ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Spannung dadurch zum Teil entspannter wird, als angemessen wäre; auch zu ‚kleinen‘ Routineeingriffen gehören sehr genaue und kontrollierte Gesten, die viel Konzentration und Geschick verlangen. Und bei ständiger Beschallung fallen zumindest mir das deutlich schwerer…
- Operieren unter Vollnarkose? Keine echte Option. Aus ärztlicher Sicht ist die lokale Narkose eine tolle Sache: Ein Eingriff ist mit weniger Risiken verbunden und weniger belastend für den Körper. Gleichzeitig beobachte ich nicht zum ersten Mal, dass die Ärzte etwas weniger offen miteinander kommunizieren, wenn sie wissen, dass der Patient mithört. Verständlich, denn alles möchte man nicht unbedingt ungefiltert an ihn weitergeben.
- Mehr chirurgische Übungen, zum Beispiel an Tieren? Das wird bereits gemacht, aber längst nicht so lange und oft, dass einzelne Gesten aus dem FF beherrscht werden. Immerhin ist es sehr aufwändig und kostenintensiv.
Die Liste ist mit Sicherheit nicht vollständig. Und gleichzeitig wird es immer Restrisiken geben; Menschen sind nun mal nicht perfekt. Unser Patient wird in drei Tagen zur Kontrolle erscheinen. Das Risiko einer Infektion ist leider sehr hoch. Direkt nach der Operation spritzt ihm die Ärztin antientzündliche Medikamente und Antibiotika ins Auge, in den nächsten Tagen wird das Auge in Form von Tropfen weiterhin damit versorgt. Ob durch intensive Nachsorge das Schlimmste verhindert werden kann, wird sich zeigen. Bei einer Infektion wäre das Risiko einer Netzhautablösung ziemlich hoch. Und für den Patienten könnte das bedeuten, dass er einen bleibenden Gesichtsfeldausfall erhalten könnte, das heißt einen partiellen Verlust seines Augenlichts.
Weitermachen
Sarah operiert an diesem Vormittag noch den Katarakt von drei weiteren Patienten. Erfolgreich und gekonnt. Ein bisschen fühle ich mich daran erinnert, was man mir als Kind über einen Sturz vom Pferd gesagt hat: direkt wieder aufsteigen. Ansonsten könnte es sein, dass die Hemmung und Angst zu groß wird und man es ganz aufgibt.
zwischendurch hat mein auge etwas mitgelitten >.<
aber ja.. von menschen die in der medizin arbeiten wird sehr viel verlangt und ich kann mir vorstellen, dass auch wenig Dankbarkeit von den Patienten aus kommt und diese Berufe mit vielen Belastungsproben verbunden sind. es ist in diesem bereich eine andere verantwortung die man hat. nicht wie bei 'ich muss das rohr richtig zusammenschweißen sonst ist der Chef stinkig' sondern 'wenn das jetzt schiefgeht ist dieser mensch hier im schlimmsten fall tot'. ich denke, dass ärzte und co. auch nur menschen sind ist leichter vergessen als bedacht, wenn es um die eigene gesundheit geht.
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