Morgen-Adrenalin

Mein Herz hat seinen gewohnten Takt immer noch nicht gefunden. Meine Ohren sausen. Aber immerhin habe ich funktioniert gerade. Komisch, wie wichtig einem das ist. Und irgendwie auch verständlich. Denn obwohl ich ja eigentlich noch gar keine Verantwortung trage – das bisschen, was von mir erwartet wird, möchte ich auch schaffen. Und eine wichtige Sache ist: nicht stören (umkippen, im Weg stehen, etwas fallen lassen).

An den Adrenalin-Schub habe ich mich noch nicht gewöhnt. Passiert das irgendwann oder hat Adrenalin das so an sich, dass man sich daran nicht gewöhnt? Wäre ja irgendwie logisch…

Meine erste Reanimation. Die genau genommen gar nicht meine erste war. Aber die erste, in die ich aktiv involviert war. Beim letzten Mal war die Patientin schon im Rettungswagen als der Notarzt (mit mir im Schlepptau) ankam. Und allein aus Platzgründen war ich dann außen vor und habe stattdessen versucht, mich soweit möglich um ihren Angehörigen zu kümmern. Und davor war ich selbst Pflegepraktikantin auf einer Station und stand in dritter Reihe – hilflos, weil ich helfen wollte, aber vollkommen abhängig war von Anweisungen anderer, inwiefern das ggf. möglich sein würde. Und habe danach die Idee, Medizin zu studieren, vorerst verworfen.

Also doch irgendwie das erste Mal; aktiv involviert. Infusion aufziehen, Patientendaten erfragen vom Akustiker, dessen Kunde vor zehn Minuten plötzlich vom Stuhl gesackt war und somit zu unserem Patienten wurde. Dann ablösen bei der Herzdruckmassage. Das EKG irritiert mich, ‚tiefer drücken‘, ‚Brustkorb entlasten‘ weist es mich mechanisch an. Der Notarzt sieht meinen hektischen Blick Richtung Maschine. ‚Du machst das richtig, alles gut.‘ Dann ist auch die Maschine zufrieden. ‚Druckmassage suffizient‘.

Ein so schöner Tag. Und dann das.

Der Akustiker steht kreidebleich in der Ecke. Ich verstehe ihn, die Situation ist grotesk, schrecklich, stressig, unangenehm. Auch eine Passantin tut mir leid, die bei strahlendem Spätsommersonnenschein gerade vorbeigeht und ihren Blick wie gebannt auf das Szenario hält, das sich ihr bietet, bevor sie sich – der Verstand scheint wieder einzusetzen – abwendet und sich schüttelt, als würde sie das gerade Miterlebte von sich bekommen wie ein Hund das Wasser nach einem Sprung in den Teich.

Schön ist das alles nicht. Für keinen der Beteiligten. Und trotzdem bin ich froh, dabei zu sein: Um Übung zu bekommen, ruhig zu bleiben, Handgriffe zu erlernen, Algorithmen zu wiederholen. Vorbereitet zu werden darauf, derartige Situationen handeln zu können. Dann, wenn irgendwann vielleicht niemand mehr an meiner Seite ist, der mehr weiß.

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2 Gedanken zu „Morgen-Adrenalin

  1. Schöner Text.
    Das Gefühl, in einer Situation wie dieser hilflos und auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein gehört absolut dazu. Auch wenn man schon begonnen hat in der Klinik zu arbeiten wird man immer wieder Problemen gegenüberstehen, denen man sich noch nicht gewachsen fühlt. Oft findet man die besten Lösungen wenn man unter Druck steht. Wirklich allein ist man in den seltensten Fällen und wenn man diese übersteht, ob erfolgreich oder nicht, wird man immer an ihnen wachsen.
    Man lernt für die Arbeit, für’s Leben und sich selbst kennen.
    LG

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