Selbst ist der Mediziner

Ärzte werden nicht krank. Und wenn, dann kennen sie genug Mittel und Wege, um dagegen anzugehen; die gesamte pharmazeutische Bandbreite steht ihnen zur Verfügung und einen Hausarzt brauchen die meisten nicht, denn schließlich können sie sich selbst unfehlbar eine (die richtige!) Diagnose stellen und umgehend zur Therapie schreiten…

Krank sein im Studium

Schon ganz am Anfang fängt es an. Mein Eindruck ist, dass Medizinstudenten per se ungern krank werden und – wichtiger – etwas verpassen. Vermutlich trifft dies auch für andere ehrgeizige junge Menschen zu, die hoch hinaus wollen. Das Studium ist umfangreich und das Gefühl, einerseits keine Schwäche zeigen zu wollen und es sich andererseits aber auch nicht leisten zu können, zu fehlen, ist präsent. Und selbst, wenn der Wille zum Kranksein und Zu-Hause-Bleiben tatsächlich da ist, wird es einem nicht ganz leicht gemacht: Denn im Studium gibt es immer wieder Institute, deren Seminare verpflichtend sind; wenn man eins verpasst hat, muss es unbedingt nachgeholt werden. Natürlich stimmen die meisten Verantwortlichen uns Studenten zu, dass – wenn man tatsächlich krank ist – eine Lösung gefunden wird, wenn ein wichtiger Termin verpasst wurde und nicht nachholbar ist. Studenten hören dabei aber statt ‚Lösung finden‘ eher die Botschaft, dass sie schon ‚tatsächlich krank‘ sein müssen, um zu fehlen… (bzw. fehlen zu dürfen).

Ist unsere Generation also zu pflichtbewusst und obrigkeitshörig, dass wir es nicht mehr wagen, selbst zu entscheiden? Oder warum habe ich im Laufe der Jahre immer wieder beobachtet, dass Kommilitonen sich in Seminaren und Praktika schleppten, neben die sich – aus Selbstschutz (Ansteckungsgefahr!) – kaum jemand von den anderen setzen wollte und die (wenn man Mama gefragt hätte) ins Bett gehört hätten?

Automedikation

Als Mediziner (oder angehende Mediziner) kennen wir die Pharmakologie der Medikamente, die wir verabreichen. Wir wissen, an welchen Rezeptoren sie andocken, welche Enzyme sie hemmen und in welchem Organ sie abgebaut werden. Zumindest grob. (Denn zumindest ich für meinen Teil muss gestehen, dass ich das zwar alles mal in einer Pharma-Vorlesung gehört habe, aber mitnichten noch komplett präsent habe. Und vermutlich geht es den meisten meiner Kommilitonen dann doch ähnlich.)

‚Wir‘ haben Medikamente also im Griff und können sie zu eigenen Zwecken nutzen. Also Ibuprofen bei Kopfschmerzen, Zopiclon bei Einschlafproblemen nach einem Nachtdienst oder auch für den langen Flug nach Übersee. In Kombi mit Heparin, versteht sich, wegen des Thromboserisikos.

Und bei einem Kater schnell mal eine Infusion angelegt. Das sieht auf einem Festival (1:1 so gesehen) nicht nur lässig und erwachsen aus, sondern ist zweifelsfrei durchaus effizient. (Viel Wasser trinken würde allerdings das gleiche bewirken… ist aber anstrengender und beeindruckt Schaulustige wesentlich weniger.)

Work hard, play hard

MDMA (auch bekannt als Ecstasy) ist ein Amphetamin, schüttet Serotonin und Noradrenalin aus und auch ein bisschen Dopamin. Insgesamt wird dadurch ein euphorischer Zustand erreicht. Die Neurotransmitter sind uns aus Vorlesungen bestens bekannt. Und irgendwie ist die Ehrfurcht vor dem Mittel und seinen Möglichkeiten deshalb bei einigen Medizinern geringer. Denn auch mit Medikamenten greifen wir ständig in Prozesse im Körper ein. Und das ist ja das gleiche. Natürlich haben Psychopharmaka noch einen etwas anderen Anklang, schon richtig (Psyche und Bewusstsein und so) – aber irgendwie auch nur ein bisschen. Denn eigentlich sind diese Effekte doch auch von wissenschaftlicher Seite her hochspannend, oder?

Warum also nicht unsere Expertise nutzen, um es am Wochenende mal wieder so richtig knallen zu lassen? Nach der stressigen Klausurenphase ist das doch allemal verdient. Oder?

Der Ernstfall (aus dem Nähkästchen eines meiner Dozenten)

Anna M., junge ehrgeizige Assistenzärztin an einer Uni-Klinik, hat die Kontrolle verloren; oder es schlicht übertrieben, wie man’s nimmt. Eigenmächtig hat sie versucht, ihre Schmerzen (letztlich eine unentdeckt gebliebene Appendizitis = Blinddarmentzündung) mit Paracetamol soweit zu senken, dass sie ihrer Arbeit pflichtbewusst und engagiert weiterhin nachgehen konnte. Ihren Schmerz nahm sie nicht mehr als Warnsignal ihres Körpers war, sondern schlicht als Störfaktor, der sie bei der Arbeit hinderte. (Jeder Arzt, der einen Patienten mit so einer Einstellung vor sich hätte, würde auf Alarmstufe rot schalten.)

Doch das ist noch nicht alles: Dramatisch kam hinzu, dass Anne M. die tägliche Maximaldosis (von höchstens 4.000mg) Paracetamol nicht beachtete – und ihrer Leber so viel zumutete, dass diese schließlich versagte! (Und für diejenigen von euch, die keinen medizinischen Hintergrund haben: absolutes Leberversagen bedeutet, dass als Therapiemöglichkeit nur noch eine Transplantation bleibt.)

Fazit?!

Diese Schilderungen sind zum Teil sehr extrem und drastisch. Aber eins ist sicher: Ärzte gehen im Schnitt nicht gern zum Arzt – sollten es aber durchaus tun. Wer sich selbst betrachtet, ist auf dem einen Auge oft blind. Und ob es nun der zu regelmäßige Konsum von Schmerzmedikamenten, der fahrlässige Umgang mit psychotropen Substanzen oder auch die allgemein hohe Belastung (Burn-Out-Gefährdung) ist: Verantwortung tragen wir nicht nur für die Gesundheit unserer Patienten, sondern auch für unsere eigene. (Und das ist nicht egoistisch, sondern hilft am Ende auch unseren Patienten)

Lasst uns also nicht nur gute Mediziner, sondern auch gute Patienten sein.

11 Gedanken zu „Selbst ist der Mediziner

  1. Guten Morgen! Erst mal gute Besserung.
    Also ich bin immer los im Studium. Egal ob Fieber, fiese Erkältung oder Angina. Bei Angina war ich kurz beim Arzt um mir mein Antibiotikum abzuholen. Wir hatten teilweise Kurse mit drei Terminen, da war einmal Fehlen nicht möglich… wegen der 15% Fehlzeitregelung.

    Jetzt bin ich im PJ und Anfang des Jahres hatte mich ein Magen-Darm-Infekt erwischt. Da bin ich zum Arzt und hab die Krankschreibung hingenommen. Am Ende hätte ich nur die gesamte Station angesteckt und lahm gelegt.

    Ich habe durch die KS auch was gelernt. Wenn man sich ausruht, kann man wesentlich schneller gesund werden 😀

    Liebe Grüße
    Änschie

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      1. Manchmal muss man Studenten​ Bettruhe anhand rigoroser Aufklärung​ möglicher Komplikationen aufdrängen, z. B. heute geschehen bei einer Studentin mit 40 Grad Fieber bei Scharlach​, die dies erst einsah, als ich von u.U. tödlichem Rheum. Fieber sprach (historisch bei Mozart).

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  2. Nach dem Studium in der Praxis ist die Entscheidung, daheim​ zu bleiben, auch nicht leichter: Jeder Werktag zuhause​ bedeutet >tausend EUR weniger Umsatz; die Kosten (Personal, Räume,…) laufen aber weiter… Wer bleibt dann gern zuhause?

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  3. Selbstständige ApothekerInnen und PharmaziestundentInnen sind da auch nicht viel besser. Aber als Angestellte gestehe ich, daß ich mich tatsächlich schon mal habe krankschreiben lassen. War dann aber auch wirklich krank. Ansonsten wissen wir noch viel mehr über Medikamente und sind sicher genauso bei der Selbstbehandlung dabei…..

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